Auf den Spuren der Stasi

3. Oktober: Dieser bundesweite Feiertag steht wie kein anderer für deutsches Streben nach Einigkeit, Recht, Freiheit und Demokratie, wurde doch an jenem Datum im Jahr 1990 durch den Wiedervereinigungsvertrag das Ende der Deutschen Demokratischen Republik und damit zugleich der Anfang unseres heutigen, neuen, geeinten Landes besiegelt. Maßgeblicher Anstoß für diese Einigung war die Öffnung der innerdeutschen Grenze in Berlin, der „Mauerfall“, welcher sich 2019 zum dreißigsten Mal jährt. Während ältere Generationen die Zeit des Kalten Krieges und das geteilte Deutschland noch hautnah miterlebt haben, können heutige Jugendliche die teils absurd anmutende Situation kaum mehr nachvollziehen, was in unserer heutigen, von populistischen, rechtsextremen und ausländerfeindlichen Tendenzen geprägten Zeit jedoch immer wichtiger wird.


Was läge also näher, als mit einer Gruppe politisch interessierter und engagierter junger Menschen anlässlich des Tages der Deutschen Einheit im Jubiläumsjahr das Mauerfalls in die heutige Bundeshauptstadt Berlin zu fahren, in der während vierzig Jahren der Teilung die beiden konträren Systeme der DDR und der Bundesrepublik Deutschland wie nirgendwo anders aufeinanderprallten, und sich dort mit dem vermutlich erschreckendsten Aspekt der undemokratischen DDR-Diktatur zu beschäftigen, nämlich der nahezu vollständigen Überwachung der Bürger durch ihre eigene Regierung, genauer: Durch das Ministerium für Staatssicherheit, die sogenannte Stasi. Das System dieser Behörde, ihre Arbeitsweise, die Folgen für Andersdenkende und die heutige Aufarbeitung dieser dunklen Phase deutscher Geschichte zu verstehen war ein Ziel unserer Studienfahrt, das andere der seit Jahren traditionelle Besuch des Franziskusfestes der Fazendas da Esperança, das alljährlich zu den Höhepunkten im Campus-Terminkalender zählt.


Mit 15 teilnehmenden Jugendlichen, davon 10 aus dem aktuellen Campus-Jahrgang, begannen wir unter Leitung von Hannah Kottmann, Robert Kläsener und Marcel Lindemann zur Vorbereitung abends am Mittwoch, dem 2. Oktober, in Schwerte mit dem gemeinsamen Sehen des historischen Spielfilm-Dramas Das Leben der Anderen, in welchem auf sehr ergreifende Art nicht nur die infamen Methoden des MfS, sondern besonders auch die unmittelbaren psychischen und physischen Konsequenzen für die Betroffenen beleuchtet werden, woran anschließend wir uns in einer langen Diskussionsrunde ausführlich über unsere ganz persönlichen Eindrücke austauschten.


In zwei stimmungsvollen Kleinbussen brachen wir dann am nächsten Morgen in aller Frühe Richtung Berlin auf, wo wir nicht nur die Zimmer bezogen und uns die obligatorische Currywurst genehmigten, sondern auch Dank einer spannenden Stadtführung in Form einer interaktiven Rallye die Möglichkeit hatten, das Zentrum der Metropole und insbesondere wichtige Orte deutscher Geschichte wie die Ermordungsstätten von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, den ehemaligen Verlauf des Eisernen Vorhangs oder das Denkmal für die ermordeten Juden Europas im Herzen der Stadt zu erkunden und gleichzeitig unser historisches Wissen, besonders auch in Bezug auf innerdeutsche Konflikte und Verfolgung während der Zeit der Teilung der Stadt, aufzufrischen und zu erweitern. Am Abend
genossen wir dann in kleineren Gruppen die Feierlichkeiten am Brandenburger Tor und auf der Straße des 17. Juni anlässlich des Jahrestages der Deutschen Einheit.


Der dritte Tag unserer Studienreise war dann der großen Politik vorbehalten. Nach einer kleinen Einführung über die Funktion des Bundestages wurden wir von der CDU-Abgeordneten Marie-Luise Dött zuerst durch das Paul-Löbe-Haus und anschließend durch das Reichstagsgebäude geführt, wobei wir uns über exklusive Einblicke und politische Hintergrundinformationen durch die Brille der umweltpolitischen Sprecherin freuen durften. Mit dem ernüchternden Kontrastprogramm zu diesen Aspekten einer trotz aller begründeter Besorgnis gut funktionierenden Demokratie wurden wir dann am Nachmittag konfrontiert, als wir das ehemalige Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen nicht nur besuchten, sondern von einem Zeitzeugen, der als junger Mann selbst in diesem einschüchternden Komplex inhaftiert war, auf eine sehr bewegende Art über den erschütternden Umgang der Stasi mit nicht Staatstreuen und besonders die menschenverachtenden Zustände im Innern dieses Gefängnisses aufgeklärt wurden. Nach diesem sehr aufwühlenden und prägenden Erlebnis und einer kurzen emotionalen Reflexionsrunde besuchten wir zuletzt am Abend im Maxim-Gorki-Theater eine Aufführung des Stücks Granma, das auf reflektierte und vieldimensionale Art die kubanische Revolution über drei Generationen hinweg behandelt.

Einen interessanten Einblick in die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit erlangten wir am Samstag-Vormittag im Rahmen einer Führung durch das Stasi-Museum im ehemaligen Zentrum für Staatssicherheit, bei der wir einerseits anhand realer Einzelfälle eine detaillierte Vorstellung von der Arbeitsweise und Struktur dieser riesigen Behörde bekamen und andererseits einen ausführlichen Blick in das die Stasi-Akten umfassende Archiv der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes und der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik werfen durften. Spirituell wurde es dann am Nachmittag, als wir auf der Fazenda da Esperança Gut Neuhof am Franziskusfest teilnahmen. In einer bereichernden Atmosphäre durften wir nach einem herzlichen Willkommen die Kunstwerke und andere selbstgefertigte Kleinigkeiten der Fazenda-Bewohner bewundern und während einer Führung über den gesamten Hof die ergreifenden und von Leid, aber auch von Stärke und Mut zeugenden Lebensgeschichten dreier der Bewohner erfahren, bevor wir, gemeinsam mit anderen Facendas, Messe feierten, und so den prägenden Abend zelebral ausklingen ließen.

Letzter Programmpunkt in Berlin war am Sonntagmorgen der Besuch des Deutschen Spionagemuseums, in welchem uns zunächst die spannende deutsch-deutsche Spionagegeschichte mit allen ihren Tücken, Intrigen und Finessen nähergebracht wurde, wonach wir noch die Möglichkeit hatten, an zahlreichen Mitmach-Stationen unsere Fähigkeiten als angehende „Superspione“ zu testen. Nach einer letzten kurzen Reflexion traten wir mit guter Stimmung, vielen bleibenden Erfahrungen sowie interessanten, bewegenden und inspirierenden Eindrücken im Gepäck die Rückfahrt nach Schwerte an, wo wir gegen Abend eintrafen.

Insgesamt ist uns allen diese Bildungsreise mit den geschichtsträchtigen Orten, die wir besuchten, den angeregten und anregenden Gesprächen, die wir führten, und den vielen freundlichen Menschen, die wir trafen, in bester Erinnerung geblieben, und wir alle haben nun ein klareres Bild vor Augen von dem, was Alt-Bundespräsident Joachim Gauck bei einem Besuch des Stasi-Archivs im Jahr 2017 so formulierte: „Die DDR war kein Themenpark, wie heute manche tun. Das war eine sehr entscheidende, langlebige Diktatur“